Wie verhalten sich Messeunternehmen im Kontext der aktuellen Krisen richtig, nachhaltig oder besser verantwortlich? Dieser Frage ging Viktoria Blecker in ihrer Bachelorarbeit auf den Grund und entwickelte einen Modellansatz zur Integration einer CSR-Strategie in die identitätsbasierte Markenführung von Messeunternehmensmarken.
(Bild: Shutterstock / r.classen)
Zugrunde liegt die Idee, sich in einem strategischen und konzeptionellen Ansatz gesellschaftlicher Verantwortung, sogenannter Corporate Social Responsibility, Messeunternehmen anzunähern. Da sich Messemarken in einem dynamischen Spannungsfeld bewegen, in dem Marken einen zentralen Wettbewerbsvorteil bilden können, dienten Marken als unternehmensstrategischer Anknüpfungspunkt. Dass dies im Zusammenhang mit CSR sinnvoll ist, führt die Bachelorarbeit im Detail aus. Sie beschäftigt sich demnach nicht mit operativen CSR-Maßnahmen im Messekontext, sondern mit der ganzheitlichen Einbettung eines Denkansatzes in die Markenführung von Messeunternehmen. Als Basis dienen dabei das Modell der identitätsbasierten Markenführung von Messeunternehmensmarken von Jung 2010 und das Modell der verantwortlichen Markenführung nach Schmidt, 2019. Hieraus abgeleitet wurde die Integration auf Modellebene visualisiert, der neue Modellansatz bildet den Kern der Arbeit. Die Bearbeitung der Themenfelder „Marken“ und „CSR“ ergab dabei wesentliche Voraussetzungen, die bei der Modellarbeit berücksichtigt wurden und die im Folgenden verkürzt aufgeführt werden.
Übersicht:
Markenidentität als Ausgangspunkt der Positionierung
Modell einer verantwortlichen Messedachmarkenidentität
Frage nach Wirkungsmechanismen bleibt offen
Modell leistet großen Anteil an Vorarbeit
Ausgestaltung kann sehr unterschiedlich aussehen
Weiteres Forschungs- und Diskussionspotenzial
Markenidentität als Ausgangspunkt der Positionierung
Die Messebranche weist eine generelle Markenrelevanz auf und eine Messedachmarke kann dabei eine Reihe strategischer Zielsetzungen verfolgen. Für Messeunternehmensmarken bietet es sich an, den Ansatz der identitätsbasierten Markenführung zu wählen, bei der interne und externe Perspektive verbunden sind. Die Markenidentität kann dabei als Ausgangspunkt der Positionierung angesehen werden. Um die Identität einer Marke zu konkretisieren, sollten die einzelnen Komponenten dieser Identität betrachtet werden. In einem Modell hat Jung genau dies getan und die einzelnen Identitätselemente einer Messemarke herausgestellt. Sie entwickelte in ihrer Dissertation ein Modell der Dachmarkenidentität von Messeunternehmensmarken, auf das sich die zugrundeliegende Arbeit maßgeblich stützt.
CSR ist eine Denkhaltung
Corporate Social Responsibility kann auf Basis verschiedener Ansätze betrachtet werden. Strategische CSR zeichnet aus, dass sie ein Denkansatz ist, der in die strategischen Prozesse eines Unternehmens eingebracht werden muss. Zusammengefasst ließe sich sagen, dass den Ausgangspunkt von CSR im Unternehmen nicht die Maßnahmen bilden, sondern die Denkhaltung. Diese lässt sich unter anderem in die Marke integrieren. Eine wichtige Voraussetzung ist hier der identitätsbasierte Ansatz, der im Corporate Sustainable Branding, also der Integration von CSR in eine Marke, zu betrachten ist. Schmidt (2019) erarbeitete einen Bezugsrahmen, der die zentralen Anforderungen an eine tragfähige und verantwortungsvolle Markenführung in einem Modell aufgreift. Verantwortung nutzt er dabei als übergeordneten Begriff, der ökonomische, ökologische und soziale Aspekte als Klammer umfasst. Er leitet ab, dass die Marke offen, transparent kommunizierend, fair agierend und engagiert sein muss.
Logistikmodell der Kombination von Marken und CSR (eigene Darstellung)
Modell einer verantwortlichen Messedachmarkenidentität
Das nebenstehende „Logik-Modell“ visualisiert die maßgeblichen Merkmale, die sich für die Zusammenführung beider Modelle ergaben und zeigt die Eignung zur Kombination der Themen und Modelle. Die Wirkungen bilden sich im späteren Modell nicht mit ab, da sie thematisch zu umfassend sind.
Es folgte die Modellerstellung mit dem Ergebnis eines Modellansatzes, der die Kombination von Messedachmarkenidentität und CSR visuell darstellt. Die Bachelorarbeit selbst beschreibt die Modellerstellung im Detail und geht auf die Entwicklung der einzelnen Ebenen ein, was sie bedeuten und wie sie zu Stande kommen. Alle Elemente, die im Modell blau hinterlegt sind, stellen Positionen dar, an denen die Merkmale gesellschaftlicher Verantwortung ansetzen. Diese sind im Kern verankert und ziehen sich prozesshaft nach außen. Alle Elemente und Merkmale fließen dann in ein Nutzenversprechen zusammen, was durch den sich verblassenden äußeren blauen Farbkreis deutlich werden soll.
Modell einer verantwortlichen Messedachmarkenidentität (eigene Darstellung)
CSR verhält sich prozesshaft
Der Modellansatz zeigt im Kern die Markenphilosophie und die Überzeugungen. Um den Kern herum ordnen sich wie bei Jung die identitätsprägenden Elemente der Messedachmarke an. Um diese wurde ein neuer blauer Ring gezogen, der diesen Elementen die moralischen Elemente aus dem Modell von Schmidt zuordnet.
Die Identitätselemente werden von den Überkategorien Marke als Symbol, Marke als Organisation und Marke als Produkt eingefasst. Aus diesen Elementen bildet sich die Marke als Person. Auf die gleiche Ebene wurde die Markenpositionierung gestellt.
Aus der Marke als Person wird das Nutzenversprechen für die Zielgruppe abgeleitet. Die Elemente von Schmidt „offen, fair, transparent und engagiert“ wurden um die Marke als Person/Positionierung herumgestellt. Ist gesellschaftliche Verantwortung Teil des Nutzenversprechens, sollte dieses auf den Attributen „fair, offen, transparent und engagiert“ basieren, sodass die gesellschaftlich verantwortlichen Identitätsmerkmale der Marke bei Kund:innen als authentisch und ohne egoistische Hintergedanken wahrgenommen werden können.
Es ließe sich schlussfolgern, dass, wenn das Nutzenversprechen nicht kongruent mit der Wahrnehmung der Zielgruppe im Markenimage ist, sich ein Gap zwischen Selbstbild der Marke (Markenidentität) und dem Bild der Zielgruppen (Fremdbild, Markenimage) auftun kann. Im Zuge von CSR und Nachhaltigkeit wird hierfür oft der Begriff des Greenwashing verwendet. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Punkte „offen, transparent, fair und engagiert“ sowohl in das symbolische wie auch funktionale Nutzenversprechen integriert werden sollten. Sie sind keiner Seite des Kreises fest zugeordnet. In der Vorstellung drehen sie sich um den Kreis „Marke als Person/Positionierung“ herum.
Frage nach Wirkungsmechanismen bleibt offen
Konzeptionell und in Bezug auf die Anwendung weist das Modell einige Grenzen auf. Dem Element Herkunft sowie Name, Zeichen, Symbole ließ sich kein Element zuordnen. Hier bedarf es weiterer Forschung. Ebenso bedürfen die Modelle von Jung und Schmidt kritischer Reflexion. Beide sollten auf Vollständigkeit überprüft werden. Dies konnte die zugrunde liegende Arbeit nicht leisten.
Es stellen sich aber vor allem Fragen nach den Wirkungsmechanismen von CSR mit einer Marke, denn wie und wann diese auf welche Weisen wirken, konnte in der Arbeit nicht erläutert werden. Aus diesem Grund werden sie im Modell auch nicht weiter abgebildet. Hier entsteht die wesentliche Grenze des Modells, die die Anwendung in der Praxis erschwert. Es können nur Hypothesen zu möglichen Wirkungen aufgestellt werden, die sich aus der Literatur, insbesondere aus Erkenntnissen des Corporate Sustainbale Branding, ableiten. Es bleiben Fragen offen, die thematisieren sollten, wie Menschen auf Maßnahmen gesellschaftlicher Verantwortung reagieren, ob positive oder negative Gefühle gegenüber Maßnahmen ausgelöst werden, wie diese entstehen und was diese in ihrer Stärke beeinflusst. Auch hier ist weitere Forschung notwendig.
Modell leistet großen Anteil an Vorarbeit
Das Modell ist in erster Linie eine auf wissenschaftlicher Basis erstellte Konzeption. In Bezug auf die Anwendungen zeigt es aber, dass CSR als Denkansatz im Markenkern ansetzen muss. CSR zieht sich dabei prozesshaft durch die gesamte Erstellung der Identität. Vom Kern bis zum Nutzenversprechen werden Merkmale der CSR integriert. Das Modell widerspricht damit der Idee, dass CSR in Messeunternehmensmarken nur ergänzt wird, es muss ganzheitlich umgesetzt werden.
Es berücksichtigt außerdem die Voraussetzungen von CSR und von Markenführung in Messeunternehmen, sodass es spezifisch auf den komplexen Messebereich angewendet werden kann. Dadurch dass Merkmale der CSR und Merkmale von Messemarken im Vorfeld analysiert und verglichen wurden und auf Basis dessen das Modell erstellt wurde, leistet es einen erheblichen Teil an Vorarbeit.
Zusätzlich soll das Modell im gesamten Kontext der Messemarkenführung anwendbar sein. Es wurde so konzipiert, dass eine breite Nutzung für Messeunternehmen möglich wird.
Ausgestaltung kann sehr unterschiedlich aussehen
Wichtig herauszustellen ist, dass in Bezug auf die Anwendung des Modells weitere Aspekte beachtet werden sollten. Zum einen muss Verantwortung aus der eigenen Überzeugung des Unternehmens heraus entstehen, um erfolgreich zu sein. Baumgarth (2011) führt an, dass das CSR-Marketingkonzept wirkungslos ist, wenn die Verantwortung nur Antwort auf Stakeholder-Bedürfnisse ist.
Ebenso stellt sich in der ethisch ausgerichteten Diskussion um CSR die Frage, ob sie sich auf Aspekte der Gewinnerzielung erstrecken darf. Hierbei gibt es in der Literatur verschiedene Auffassungen. Nach Müller-Christ (2020) gibt es ein Spannungsfeld zwischen Verantwortung und Gewinn. Er geht unter anderem so weit, dass Überleben durch Gewinn von Überleben durch Legitimation abgelöst wird. Auch hier wären Erkenntnisse im Bereich der CSR-Wirkung auf Stakeholder von Interesse.
Wird CSR ganzheitlich in den Markenkern integriert, sind Konflikte zwischen Stakeholdern zu vermuten. Wenn sich ein Unternehmen also beispielsweise gegen den Krieg in der Ukraine positioniert, wie reagieren dann Stakeholder in Russland oder China darauf? Für ein Unternehmen gehen mit der CSR-Thematik also Fragen der eigenen ethischen Haltung einher. Im gleichen Zug stellt sich die Frage, ob gesellschaftlich verantwortliches Handeln nicht auch den Unternehmenserfolg gefährden kann.
Eine Besonderheit stellt das komplexe Verständnis von CSR dar. CSR wird hier als Denkansatz in die Markenidentität eingebettet. Da es aber keine festgelegten Definitionen gibt, was alles unter CSR fällt, kann die Ausgestaltung für die Unternehmen sehr unterschiedlich aussehen. Die Ausgestaltung wird wiederum dahingehend komplex, da die Wirkungen und Wirkungsmechanismen von CSR nicht geklärt werden konnten.
Wenn CSR nur Antwort auf Stakeholder-Bedürfnisse ist, sie wirkungslos.
Weiteres Forschungs- und Diskussionspotenzial
Die Aufarbeitung des Forschungsstandes, insbesondere im Bereich CSR, zeigt die Komplexität einer wissenschaftlichen Annäherung an die Thematik. Dennoch stellt diese Arbeit den ersten Versuch dar, auf wissenschaftlicher Grundlage CSR in eine Messeunternehmensmarke zu integrieren. Neben dem Modell kann die Arbeit damit zu weiteren Diskussionen anregen, da sie neben der Modellkonzeption einen breiten Pool an Themen streift, vor allem den der identitätsbasierten Markenführung und den Begriff der CSR. Da dieser so breit und umfangreich ist, umfasst er von einem strategischen Ansatz bis hin zu ethischen Fragen ein breites Feld, was zu weiteren Fragen in der Anwendung führt.
Über die Autorin:
Vikroria Blecker
Viktoria Blecker (23) ist im Landkreis Hildesheim aufgewachsen und nahm nach ihrem Abitur das Studium Veranstaltungsmanagement an der Hochschule Hannover auf. Ihren Bachelorabschluss erwarb sie im Sommersemester 2022 und begann im Anschluss das Studium der Sozialwissenschaften an der Georg August Universität Göttingen, wo sie sich u.a. mit dem Fachgebiet Sozialpsychologie auseinandersetzte. Dies aufgreifend, möchte sie den Gegenstand ihrer Bachelorarbeit in Zukunft mit einem Studium der Psychologie weiter vertiefen. Ihrem weiteren beruflichen und akademischen Werdegang sieht sie mit Freude und Neugierde entgegen.
Bewertung der Professur:
Viktoria Blecker entwickelt, erstaunlich für eine Bachelorarbeit, einen eigenen Modellansatz, der auf den Modellen der Messedachmarkenidentität nach Jung (2010) und der verantwortlichen Markenführung nach Schmidt (2019) basiert und diese weiterentwickelt. Sie betitelt ihren Ansatz als Modell einer verantwortlichen Messedachmarkenidentität. Es ist ein Vergnügen, Frau Blecker auf ihrer Reise durch die strategische Markenführung und die strategische CSR im Markenkontext zu folgen. Sie führt kundig ein, verarbeitet sehr gut die relevante Literatur und verliert ihr Ziel eines eigenen Modells nie aus den Augen. Abschließend diskutiert sie die Grenzen ihres eigenen Tuns. Für mich ist besonders lobenswert, dass es Frau Blecker gelingt, über die Wiedergabe und detaillierte Schilderung von Modellen und ihrer Entwicklung hinaus in eine analytische Bewertung zu kommen, die dann die Grundlage für eigenes Kreieren wird.
Prof. Dr. Gernot Gehrke, Management und Marketing in der Veranstaltungswirtschaft, Hochschule Hannover
Hinweis der Redaktion:
Der Artikel basiert auf Literatur und Quellen, die in der vollständigen Bachelorarbeit einzusehen sind und deren explizite Nennung für die Veröffentlichung im Magazin vernachlässigt wurde.